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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 27.08.2009


Die Welt ist groß und Rettung lauert überall
Claire Horst

Mit seinem 1996 erschienenen gleichnamigen Roman überzeugte der Schriftsteller Ilija Trojanow Kritik und LeserInnen. Jetzt ist das Buch kongenial verfilmt worden. Am 1. Oktober 2009 startet die...




... internationale Koproduktion in den deutschen Kinos.

Erzählt wird die Geschichte von Alex, der als Junge mit seinen Eltern aus dem kommunistischen Bulgarien fliehen muss und über Umwege nach Deutschland gelangt. Dabei macht die Familie grausame Erfahrungen. Ihr gesamtes bisheriges Leben einschließlich der geliebten Großeltern muss sie zurücklassen, den Aufenthalt in einem italienischen Flüchtlingslager überstehen, Bestechungsgelder zahlen und illegal über Grenzen gehen.

Diese Handlung entfaltet sich im Rückblick. Denn nach einem Autounfall, bei dem seine Eltern ums Leben gekommen sind, hat der inzwischen erwachsene Alex (Carlo Ljubek) sein Gedächtnis verloren. Sein Großvater (im Buch ist es sein Pate) Bai Dan reist aus Bulgarien an und bemüht sich nach Leibeskräften, seinen geliebten Jungen ins Leben zurückzuholen. Dazu ruft er ihm gemeinsame Erlebnisse ins Gedächtnis zurück: die Backgammon-Wettbewerbe im heimatlichen Dorf, bei denen Bai Dan ungeschlagener Meister war, Geburtstagsfeiern mit der ganzen Familie. Die in der Rückschau erzählte Vorgeschichte zeigt der Film in sepiafarbenen Bildern, was die Vergangenheit in einen melancholischen Schleier hüllt.

Schockiert und erschrocken über die Lethargie seines depressiven Enkelsohns, der seinen Lebensunterhalt mit dem Übersetzen von Bedienungsanleitungen verdient und ein einsames Leben führt, zwingt Bai Dan Alex zu einem Perspektivwechsel: Auf dem Tandem soll der Enkel mit ihm nach Bulgarien fahren.

Bai Dan, in dessen Leben sich alles um das Backgammon-Spiel dreht, glaubt an die Macht der Gedanken. \\\"Würfeln hat doch nichts mit Glück zu tun!\\\", hält er seinem wenig optimistischen Spielpartner Alex vor. Schon als kleinem Jungen hat er ihm beigebracht: Wer an eine bestimmte Zahl fest genug denkt, kann diese auch würfeln. So werden Spiele gewonnen, und so wird auch das Leben gemeistert. Auf dem Weg zurück in die Heimat soll Alex – wie beim Backgammon – sechs \\\"Points\\\" erreichen. Mit jedem erreichten Punkt kehrt tatsächlich ein Stück seiner Erinnerung zurück.

Backgammon wird so zu einer Metapher für Bai Dans Lebensphilosophie. Niemals aufgeben, heißt diese. Mit der richtigen Einstellung lassen sich alle Herausforderungen meistern. Nicht immer ist das Bai Dan gelungen. In Bulgarien saß er lange Jahre im Gefängnis – seine regimekritische Meinung ließ er sich nicht verbieten. Und doch blieb seine Lebensenergie ungebrochen. Bai Dan ist die eigentliche Hauptperson des Films. Von Miki Manojlović, bekannt aus den Filmen von Emir Kusturica, überzeugend und anrührend dargestellt, ist Bai Dan der Mensch, den sich jede/ r als Opa und Beschützer wünschen würde. Derart liebevoll begleitet er seinen Enkel, so lebensklug erscheint er, dass man sich wünscht, es gäbe ihn wirklich.

Noch aus einem anderen Grund ist dieser Film etwas Besonderes. Nur selten werden Migrationsgeschichten in Deutschland aus der Perspektive der MigrantInnen erzählt. Dem Drehbuchautor Ilija Trojanow, der auch als Übersetzer und Verleger tätig ist, gelingt es, seine ProtagonistInnen nicht als Opfer darzustellen. Es sind differenzierte und starke Persönlichkeiten, die Film wie Buch bevölkern. Anders als das Buch konzentriert sich der Film auf reale Ereignisse – fantastische Elemente (ähnlich dem Magical Realism eines Salman Rushdie) - hatten im Buch größeren Raum eingenommen.

Dass der Film bereits mehrere Preise gewonnen hat, verwundert nicht. So erhielt er die Publikumspreise des 12. Sofia Film Festivals 2008 und des Zürich Filmfestivals 2008. Finanziert wurde die Verfilmung von mehreren EU-Förderprogrammen – produziert wurde sie von Bulgarien, Deutschland, Slowenien und Ungarn. Filmsprachen sind Bulgarisch und Deutsch.

AVIVA-Tipp: \\\"Die Welt ist groß und Rettung lauert überall\\\" ist ein ruhiger, bedächtig erzählter Film, der sich viel Zeit nimmt, um seine Figuren wachsen zu lassen. Die emotionale Erzählführung rührt stellenweise zu Tränen. Allzu rührselig ist der Film dennoch an keiner Stelle. Davor bewahrt die humorvolle Haltung seiner ProtagonistInnen. Ähnlich den Werken von Emir Kusturica neigt der Film jedoch zu einer Romantisierung seiner osteuropäischen Figuren. Frauen spielen eine eher untergeordnete Rolle: Sie sind Mutter, Großmutter oder Geliebte. Dennoch ein wunderbarer Film, der sich auch durch die fantastische Musik von Stefan Valdobrev auszeichnet.



Zum Autor: Ilija Trojanow wurde 1965 in Bulgarien geboren. 1971 floh er mit seinen Eltern nach Deutschland, wo sie in München politisches Asyl erhielten. Ein Jahr später zog die Familie nach Kenia. Von 1972 bis 1984 lebte Ilija Trojanow in Nairobi - unterbrochen von einem dreijährigen Aufenthalt in Deutschland. 1998 zog er nach Bombay. 2007/ 2008 übernahm Ilija Trojanow eine Poetik-Dozentur an der Universität Tübingen. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden und wurde mit verschiedenen Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter dem Bertelsmann-Literaturpreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 1995, dem Marburger Literaturpreis 1996, dem Adalbert-von-Chamisso-Preis 2000, dem Berliner Literaturpreis 2007 und dem Mainzer Stadtschreiberpreis 2007. Sein bekanntestes Buch ist \\\"Der Weltensammler\\\" (2006)
Weitere Infos und Kontakt unter : www.ilija-trojanow.de

Zum Regisseur: Stephan Komandarev wurde 1966 geboren. Er studierte Film- und Fernsehregie in Sofia. Zu seinen Werken zählen Dokumentar-, Kurz- und Spielfilme.
Auswahl: Alphabet of Hope (Doku, 2003), Bread over the Fence (Doku, 2002), Dogs` Home (Spielfim, 2000). Seine Filme wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

Die Welt ist groß und Rettung lauert überall
Originaltitel: Svetat e golyam i spasenie debne otvsyakade
Regie: Stephan Komandarev
DarstellerInnen: Miki Manojlović, Carlo Ljubek, Hristo Mutafchiev, Anna Papadopulu, Lyudmila Cheshmedzieva
Bulgarien/Deutschland/Italien/Slowenien 2007
Länge: 105 Minuten
35mm, 1:1.85, Farbe, Dolby Digital SR-D
Weitere Infos unter: www.theworldisbig.com (englisch)


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Terézia Mora. Alle Tage


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Beitrag vom 27.08.2009

Claire Horst